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„Können den Kindern nicht mehr gerecht werden“

Zu einem ganz besonderen Treffen zwischen Lehrkräften, Kindertagesstätten-Leitung und Elternvertretern auf der einen Seite und den Landestagsabgeordneten Bernd Wölbern (SPD) und Marco Mohrmann (CDU) auf der anderen Seite kam es in der vergangenen Woche.  „Es geht um vielschichtige Probleme und Sorgen im Hinblick auf eine kindgerechte Bildung und Betreuung“, fasste Angela Zottmann, Lehrerin der Grundschule Sittensen und Moderatorin des Nachmittages den Grund für die Zusammenkunft zusammen. „Unsere Unzufriedenheit wird immer größer und das hängt weder mit der Pandemie noch mit dem aktuellen Kriegsgeschehen zusammen, wenngleich uns beides emotional stark betrifft“, betonte sie und machte deutlich, dass es in dieser Runde nicht so sehr um einen Dialog ginge, sondern darum, dass man ihnen, den Pädagogen und Pädagoginnen, zuhöre. Ein Team der Grundschule Sittensen hatte dieses Treffen mit viel Engagement vorbereitet.

13 Vertreterinnen hatten entsprechend ihrer Funktion und ihres Aufgabenbereichs gut durchdachte und mutige Reden vorbereitet, die die Politiker sowie Ralf Blanken, Fachbereichsleiter für Kindertagesstätten und Schulen der Samtgemeinde Sittensen, nicht selten zustimmend und nachdenklich nicken ließen.

Es bedarf ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“, zitierte Bärbel Höyns, pädagogische Mitarbeiterin, ein afrikanisches Sprichwort zur Einführung in den Nachmittag. „Das Nest sollte eigentlich im Elternhaus sein, doch was ich sehe sind leere Gärten und Schaukeln am Nachmittag, weil immer mehr Kinder 8 Stunden und mehr in der Schule verbringen“, sagte Höyns sichtlich ergriffen und ergänzte: „Immer mehr Kinder kommen nicht schulfähig und emotional-sozial nicht gestärkt in die Schule und verbringen hier in großen Gruppen mit bis zu 30 anderen Kindern und bis zu 9 erwachsenen Bezugspersonen ihren Schultag“. Das Handwerkszeug, das ihnen fehle, die Begleitung zu Hause könne man mit den Bedingungen, die Bildungspolitik vorgibt, hier nicht ersetzen. „Wir haben tolle Schulgebäude und Kindertagesstätten, bekommen sogar An- und Neubauten und dafür sind wir dankbar, aber es ist auch wichtig, was im Inneren abläuft“, gibt sie zu bedenken. Dem pflichtete auch Stefanie Fuhrmann in ihren Ausführungen bei. „Das, was einen guten Ganztag ausmacht, können wir hier nur noch dank viel Mehrarbeit und Engagement bieten“, sagte sie und benannte wichtige Kriterien und Aspekte. „Wir wollen ein Mehr an Anregung und nicht eine reine Aufbewahrung der Kinder ermöglichen“, ergänzte Stefanie Fuhrmann weiter.

Die Politiker interessierten sich in diesem Zuge für ein Meinungsbild zum teilgebundenen oder gebundenen Ganztag. „Denn das ist eigentlich meine Zukunftsvision von Schule“, ließ Wölbern wissen und benannte beispielhaft Schulen, in denen dieses Konzept gelinge. Schulleiterin Ilse Carstens Rillox erinnerte, dass die Elternschaft dieses Vorhaben vor einigen Jahren abgelehnt hatte, aber eine Neubefragung sicher aufschlussreich wäre. „Ein Versprechen, dass der Ganztag mit 100% statt 75% ausgestattet würde, wurde auch nach 10 Jahren nicht eingelöst“, erklärte sie enttäuscht.

Christina Hessen, Leiterin der Kindertagesstätte Himmelszelt, und Lehrerin Jutta Moog berichteten über die Betreuung in den Kitas und dem Übergang von dort in die Grundschulen „Wir brauchen einfach mehr Personal und Zeit – für Elterngespräche, für das Schreiben von Förderplänen, Gesprächen mit Logopäden, Therapeuten, Ärzten, Frühförderstellen und vielen mehr“, machte Hessen deutlich. Denn die Zusammenarbeit mit solch einem multiprofessionellem Team sei eher Alltag als Ausnahme geworden, da die Kinder immer häufiger mit erheblichen Defiziten kämen. „Und um einen Übergang in die Schulen für die Kinder einfacher zu gestalten, braucht es mehr Stunden, denn mit Ende der Kindergartenzeit fällt dieses System an Förderung erst einmal weg“, erklärte Hessen. Jutta Moog ergänzte, wie wichtig z.B. das Projekt Brückenjahr war und ist. Pädagogen und Pädagoginnen können mit diesem Projekt einen seichten Übergang gestalten und haben Stunden für die Beobachtung und das Kennenlernen der Kinder, Fortbildungsmöglichkeiten sowie Zeit für gemeinsame Übergangsgespräche und Elternabende. All das wird mehr und mehr gekürzt und es ist kaum noch möglich, die Kinder im Vorfeld kennenzulernen und sie im Hinblick auf ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse einzuschätzen. „Ein Schulstart sollte nicht mit Frust beginnen, doch das ist immer häufiger der Fall. Wir können unseren Ansprüchen, den Ansprüchen der Eltern und vor allem den individuellen Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht werden“, sagten beide. Christina Hessen ergänzte noch: „Zu oft können wir aus Personalmangel nur noch betreuen, während Erziehung und Bildung hinten anstehen müssen“. Und dieser Mangel sei dem Hochziehen der Qualifikationen, der kostenintensiven Ausbildung und der geringen Anerkennung geschuldet. Mohrmann pflichtet dem bei und berichtete von Umstrukturierungsideen der Ausbildung zu einem Dual-System in seinen Reihen. In diesem Zuge erwähnte er, dass er früher selbst in einem Landhandel gearbeitet habe. „Dort waren die Wege zum Chef kurz. Wenn was anstand, konnte man direkt handeln. Das ist ja im Kultusministerium mit all seinen Instanzen und Dienstwegen sehr kompliziert“, so Mohrmann wissend.

„Aber wenn doch die Kinder mit immer mehr Defiziten kommen, warum wird nicht über die Angliederung eines Schulkindergartens nachgedacht?, wollte er weiter wissen. Beherzt ergriff Ilse Carstens-Rillox das Wort und erklärte: „Bevor wir unsere Eingangsstufe integriert haben, hatten wir einen Schulkindergarten und nach Auflösen der Eingangsstufe haben wir in drei Anträgen versucht, ihn zurück zu holen. Immer wieder lehnte man unser Vorhaben ab, dabei könnten wir problemlos eine Gruppe füllen und würden dabei vielen Kindern und Eltern entgegen kommen“. Wölbern äußerte sich dazu eher kritisch und empfindet einen Schulkindergarten nur als vorübergehende Krücke. „Schule muss viel mehr gänzlich neu gedacht werden, damit  der Übergang aus Kita dorthin und der Schulalltag danach nicht zur Zerreißprobe für alle werden“, erklärte er, wissend, dass viel zu lange nichts gemacht wurde. Der Zerreißprobe stellt sich Förderschullehrerin Ingrid Hauschild ebenfalls täglich, wenn sie ihre Stammschule, die Janusz Korczak-Schule in Zeven, sowie die Grundschulen in Sittensen und Klein Meckelsen bereist, um dort mit den lernschwächeren Kindern und denen mit einem festgestellten Förderbedarf differenziert zu arbeiten. „Der Inklusionsgedanke ist richtig und wichtig – aber die Rahmenbedingungen sorgen dafür, dass Inklusion nicht reibungslos gelingen kann, trotz motivierter Kollegen und Kolleginnen. Auch hier ist die Zeit viel zu knapp, wenn man bedenkt, wie vielschichtig die Probleme der Kinder sind und wie viele Kinder Förderung benötigen. Wenn es auch künftig nicht mehr Förderstunden, nicht mehr Doppelbesetzungen in den Klassen aber weiterhin große Klassen gibt, bedeutet dies, dass alle Kinder ständig warten müssen. Das bekräftigten viele Kolleginnen in ihrem Statement: Kinder warten auf Förderung, auf Forderangebote, auf Zuspruch, auf kleine Hilfestellungen, auf Trost, auf Streitschlichtung, auf einen Zuhörer – weil wir uns nicht zerreißen können. „Ich bin immer noch Verfechterin von Inklusion, aber die Vorteile gibt es eben nicht zum Nulltarif“, bekräftigte Hauschild. Auch die Grundschule Meckelsen ließ durch Lehrerin Susanne Bodmann verlauten, wie sehr das Kollegium um Schulleiterin Anne Klieber hinter Inklusion und Integration stehe, aber dass die Möglichkeiten zeitlich und räumlich einfach sehr begrenzt seien. Die Helga-Leinung-Schule, mit der die Schule seit Jahren kooperiere, sei oft personell nicht ausreichend besetzt, so dass Kinder mit dem Förderbedarf Geistige Entwicklung allein in den Regelunterricht geschickt würden. Dies stelle eine große Herausforderung dar, diesem einen und allen anderen Kindern gerecht zu werden.

Beratungslehrerin Dörte Dembski-Minssen sieht in dem System nicht nur das Kollegium sehr belastet, sondern auch viele Eltern und Kinder. „Wir sind unter anderem mit Präventionsprogrammen wie Ubuntu, Ferdi, PARTS, mit einem Mobbinginterventionsteam und mit Mediationsangeboten sehr vielseitig aufgestellt und dennoch bedarf es viel mehr Beratung in persönlichen Gesprächen, als Stunden zur Verfügung stehen“, sagte sie. Würden sich Eltern dann endlich auf den Weg machen, außerschulische Angebote wahrzunehmen, scheitere es an freien Plätzen in Therapien und Diagnostikzentren. Wartezeiten von einem Jahr und mehr seien hier keine Seltenheit. „Wir brauchen einfach ein multiprofessionelles Team an den Schulen“, erklärte Dembski-Minssen.

Zu diesem Team gehöre zur Entlastung des Kollegiums auch ein IT-Berater vor Ort. Diese These unterstrich Corinna Nadjé, Lehrerin der Grundschule Meckelsen, die seit vielen Monaten zusammen mit dem Sittenser Kollegen Halvor Buldmann an einem Medienkonzept arbeitet, um die Schulen in Sachen Digitalisierung voran zu bringen. In viel Eigenleistung, Selbstrecherche und mit viel Fleiß hätten sich beide jede Menge Wissen angeeignet, aber sie seien keine Informatiker, sondern Lehrkräfte. „Wir brauchen mehr Unterstützung, einen kurzen Draht bei Fragen und Zeitressourcen durch mehr Entlastungsstunden und Fachpersonal“, forderte Nadjé. Blanken stellte zwar klar, dass die Samtgemeinde als Schulträger zwei Informatiker beschäftigt, aber auch diese würden mit der Betreuung aller Schulen und des Rathauses natürlich an ihre Grenzen stoßen. Bernd Wölbern verstand die Problematik und sieht eine Fachberatung als dringend notwendig, damit der Sachstand richtig geklärt wird und nicht fälschlicherweise Hard- und Software angeschafft wird, die nicht genutzt werden kann.

Trotz des Unmuts und trotz aller Sorgen kamen auch aufmunternde Worte aus den Reihen der Elternvertreterinnen. Anne Kahrs, Elternvertreterin der Grundschule Sittensen, lobte die hervorragende Arbeit der Kollegen und ging auf die von Mohrmann beschriebene Arbeit im Landhandel ein. „Ich denke, wenn man die Mitarbeiter in diesem Landhandel so behandeln und im Stich lassen würde, wie das Schul- und Kitapersonal, wären alle Mitarbeiter irgendwann gegangen. Aber die Kollegen hier können und wollen nicht einfach gehen. Hier sitzen Krankenschwester, Seelsorgerinnen, Psychologinnen und Erziehungsberaterinnen vereint in jeder einzelnen Lehrkraft und sie äußern ihre Sorgen und Bedenken, wie auch Eltern immer wieder Ängste und Frust benennen. Warum passiert nichts? fragte Kahrs in Richtung Politiker und sprach damit vermutlich allen Beteiligten aus der Seele. Eva Kamphausen, Elternvertreterin der Grundschule Klein Meckelsen, berichtete weiter, wie sehnsüchtig Eltern in Meckelsen und umzu auf den Ganztag warten würden. Man hoffe, dass es mit den Planungen schnell voranginge.

Das Schlusswort hatte wieder Moderatorin Angela Zottmann, die sehr emotional und deutlich das Gehörte zusammenfasste. Wir brauchen Nachwuchs, Förderstunden, Doppelbesetzungen – aber woher nehmen? Niedersachsen zahlt als einziges Land nicht A13, so dass alle jungen Lehrkräfte in die umliegenden attraktiveren Bundesländer wandern.

Wir brauchen mehr Zeit für Planungen und Gespräche – aber wie, wenn die Klassen immer voller und die Kinder immer häufiger mit schlechteren Voraussetzungen kommen?

Geduldig, mitdenkend und zu jeder Zeit verständnisvoll und interessiert folgten Mohrmann und Wölbern den emotionalen Ausführungen und versprachen die Sorge und Nöte mit in ihre Parteiarbeit zu nehmen.

Als Erinnerungshilfe überreichte Zottmann beiden eine kleine Zusammenfassung für künftige Parteisitzungen. Sämtliche Missstände und Forderungen wurden auf einer gelben Karte benannt, die mit kleinen Pflastern teilweise überklebt wurden. „Die ehemalige GEW-Vorsitzende Laura Pooth sagte einst: „Knochenbrüche werden im Schulsystem mit Pflastern zusammengehalten, das kann nicht funktionieren“, zitierte Zottmann. „Aber das versucht man seit Jahren, indem das System unverändert bleibt, an Bildungsgeldern gespart wird und Lehrkräfte mit vermeintlichen Entlastungsplänen verhöhnt werden“, ergänzte sie kritisch.

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